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Licht ins Dunkel, Dunkel ins Licht

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Tomte

Dämmerung liegt noch zwischen Tag und Nacht
Die Welt liegt noch halb im Schlaf versunken,
Die Welt liegt noch im Dunkeln, verborgen.
Die Welt ist noch nicht ganz aufgewacht.

Früh am Morgen, wenn der Tag beginnt
Sitze ich im Zug, der mich zur Arbeit bringt
Schlafe noch, bin noch nicht ganz wach
Im Dämmerzustand, hänge meinen Gedanken nach...

Da draußen zieht die Welt vorbei,
Da draußen ist die Welt noch still,
Da draußen ist die Welt noch eingehüllt.
Sie träumt noch friedlich ihren Traum,
Bevor sie sich wieder mit Leben füllt,
Bevor die Menschen erwachen.

Vereinzelt tauchen ein paar Lichter auf:
Scheinwerfer erhellen die Straßen,
Laternen stehen am Wegesrand,
Hinter den Bäumen leuchten die Häuser.

In den Fenstern, an den Garagen und Scheunen
In den Gärten, an den Balkonen und Zäunen
Und an den großen Weihnachtsbäumen
Hängen überall Lichterketten.

Lichter blitzen auf in der Dunkelheit, laden ein,
Verbreiten einen geborgenen Schein.

Die modernen Zeichen der Weihnachtszeit:
Für wen sind sie bestimmt? Was bedeuten sie?
Bald wird es Weihnachten. Wer wird es sehen?
Werden nicht alle achtlos daran vorüber gehen?

Bald ist Weihnachten, wie wird es werden?
Sind alle glücklich, sind alle fröhlich?
Vorweihnachtlich. Voller Zuversicht.
(so wie es der Schein der Lichter verspricht)
Schön, wenn es so sein könnte, denke ich.

Bald ist Weihnachten, stille Adventszeit, heiliges Fest.
Und doch noch keine Stimmung, die aufkommen will.
Am liebsten würde ich verschwinden aus dieser Zeit, denke ich insgeheim.
Vielleicht fällt Weihnachten ja dieses Jahr aus?

Nur diese kleinen Lichter überall rufen mich dazu auf:
Bald ist Weihnachten. Zeit zum glücklich sein.
Voller Leuchten, voller Wärme, voller Geborgenheit,
Auch wenn das alles kitschig klingt,
Auch wenn wahrscheinlich niemand daran denkt.

Im Vorbeifahren
Erinnern mich diese Bilder an Tomte Tummetott
Eine alte Geschichte aus einem Bilderbuch von Astrid Lindgren,
Nach einem Gedicht von Victor Rydberg.

Vom Wichtel, der über die Menschen wacht:
Er setzt seine Schritte, ganz behutsam, ganz sacht
Huscht über den Hof, schaut nach den Hühnern im Stall,
Schaut, ob alles in Ordnung ist, in der Stille, tief eingeschneit in der Nacht,
Nur der Hund und der Fuchs begleiten ihn auf seinem Rundgang.

Und am Ende schleicht er ins Haus, auf leisen Sohlen.
Tritt über die Schwelle, schaut nach den Kindern, die friedlich schlafen.
Alles noch müde, alles noch schläfrig, alles noch still.
Ohne Sorgen. So soll es sein bis zum nächsten Morgen.

Da draußen ist nur einer, der über alles wacht: Tomte Tummetott.
Ein tieferes Bild von dem, was Weihnachten sein kann: voller Hoffnung,
Fürsorge, Mitmenschlichkeit, Zusammenhalt, Zuversicht.
Eine Geschichte, die etwas Tröstliches hat.
In dieser Zeit, die manchmal so schwierig ist, gibt das Gedicht Geborgenheit.

Langsam erwacht die Welt aus ihrem Schlaf
Bald werden die Menschen sich regen,
Kaffee trinken, zur Arbeit gehen…

Hier im Zug ist es hell und lebendig
Um mich herum lauter Schulkinder
Auf ihrem Weg zur alltäglichen Pflicht.
Sie sind unruhig, bewegen sich, schauen auf ihre Handys,
Drängen sich gemeinsam um ein Spiel,
In dem sich eine Figur hektisch ihren Weg bahnt.

Was wird sie an diesem Tag erwarten?
Noch denken sie nicht darüber nach, lenken sich ab.

Manche erledigen noch schnell die letzten Hausaufgaben,
Lösen Mathe, lernen englische Vokabeln.
Sie tauschen sich aus, unterhalten sich aufgeregt,
Manche sind voller Bangen, manche voller Freude.

Sie bemerken diese Bilder, diese Stimmung nicht.
Ihr Blick ist nicht nach draußen gerichtet.

Sie sehen die Lichter nicht, die einen hoffnungsvollen Schein verbreiten.
Achten nicht auf die Bäume und Höfe, die vorbeiziehen in der Dunkelheit.

Der Nebel, der Dunst, der über allem liegt,
Zwei Bullen, die auf der Weide stehen
Der Rauch einer Fabrik, der in der Ferne in den Himmel steigt,
Sich mit dem Weiß der Wolken vermischt.

Langsam erhebt sich ein feines Licht,
Ein rötlicher Schein, der die Dämmerung bricht.

All das sehen die Kinder nicht,
In diesen Moment denken sie wohl kaum: bald ist Weihnachten.
Sie sind müde oder ausgelassen, lebendig, ungeduldig. Gegenwärtig;
In den Moment versunken, in den Tagesablauf eingebunden.

Und doch ist da einer, der auf alle aufpasst,
Da draußen ist einer, der über alles wacht
Zum Glück ist da einer, der Hoffnung macht
Trotz allem ist da draußen einer, der sagt: Weihnachten kann kommen.

Tomte

 

 

Lea Scheitenberger