Marie von Kuck ist ausgebildete Puppenspielerin, Theatertherapeutin und Autorin für den Rundfunk. Sie schreibt Features, Hörspiele, Reportagen, Erzählungen und Gedichte.
Für ihre journalistischen Arbeiten erhielt sie zahlreiche Preise; u.a. den Deutschen Sozialpreis (2013), den Medienpreis des Deutschen Roten Kreuzes (2018), den Prix Europa, 2. Platz mit special recommendations (2018), den Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus (2019), den Dokka Preis (2020), die Nominierung für den Deutschen Radiopreis (2020), den Prix Europa (2022) für die beste europäische Radio-Investigation, den Robert Geisendörferpreis (2023), sowie die Preisträgerin der Stiftung "Aufmüpfige Frauen" (2024)
Gedicht - Marie von Kuck
Text, Sprecherin und Foto: Marie von Kuck
"Wie geht es dir heute?" fragt der Hausmeister das Großmütterchen.
Text, Sprecherin und Foto: Marie von Kuck
Finde meinen Weg nicht mehr
Zwei Schluck roter Wein
und schon sturzbetrunken
Finde meinen Weg nicht mehr
die Nacht trug ihn wohl auf und davon
Gestern verlor ich meine Füße,
neulich erst mein Herz
Wie wenn der Wind in einen Laubhaufen fährt
so regne ich übers Feld
Text, Sprecherin und Foto: Marie von Kuck
Auf Parzivals Wegen
Drei Runden begeistert um den Bauchnabel
herum. Zwei Schamhaare kreutzend.
von dort zur S-Bahn und zurück.
Ein Trip über die Schulter,
den Nacken entlang,
mit einem Hechtsprung ins Gelächter,
von dort ans andere Ende des Zimmers. Eine Flasche Bier, schön kalt.
Das Streicheln einer Hand,
ganz unvermittelt
am Knie,
warum am Knie?
Und warum werden wir davon plötzlich so still?
Ein Heranziehen. Ein Umschlingen.
Als hätte man nicht genügend Arme,
um gleich danach
mit einem Niesen aufzustehen,
und zu summen anfangen zu müssen.
Von einem Spaziergang zum Kühlschrank plötzlich mitten hinein
in einen Tornado.
Lippen, Arme, Beine, Finger...
oh
wo?
welche?
und warum trommelt das Herz so
ohren
betäubend
laut.
Von einem Kindergekugele, zu einem stillen Weinen, ganz ohne Grund. Einfach nur, weil du da bist.
Du?
Wer ist das?
Und du?
Wer?
Eine Begegnung der Blicke,
die seltsam fremd ist,
als würde man zugleich
in die Augen all der Geliebten schauen,
die schon vorher waren.
Plötzlich ein Sturm im Atem.
Ist es denn ein Ritt?
Ganz betrunken.
Schreck und festhalten.
Um gleich danach inne zu halten und verträumt ein Gesicht in den Staub zu malen.
Als hätte man ewig Zeit
als hätte man ewig Zeit
als hätte man ewig Zeit
als müsste man nie ankommen
auf den Gipfeln der
Liebe
Text und Sprecherin: Marie von Kuck
Foto: Flensburger Förde, Dulon
Hellblau
Er ist hellblau
Der Aquarellton, mit dem man hohe, blasse Sommerhimmel malt.
Er ist einer, auf dessen kleine Alltags-Liebespost man zappelnd wartet:
Auf einen warmen Blick tief in die Augen.
Auf eine Hand, die sich beim Autofahren um Deine legt,
gar eine Umarmung zwischendurch... Umsonst.
Er schickt sie kaum je ab.
(Deshalb zerspringst Du vor Freude, wenn es doch mal passiert.)
Meine Briefe stapeln sich unter seinem Postschlitz, er übersieht sie, er öffnet sie selten. Er braucht sie nicht.
Er träumt in den Tag.
Er erklimmt Gedanken.
Er hungert nicht.
Er durstet nicht.
Er will nicht.
Er braucht nicht.
Manchmal sehnt er sich. Dann fügt er ein Gedicht aus Worten die bei ihm stranden.
In seinen Impulsen wohnt die Stille. In einem leeren Raum mit großen offenen Fenstern. Hell, karg und licht.
Er ist die Geduld des Steins. Unverrückbar und bewegungslos...
- Ja - mit scharfen Kanten. Rundungen gibt es nicht.
Und nirgends Moos.
Wie ein steinerner Zuschauer sitzt er und schaut mit ruhigem Blick in die Welt. Alles ordnend im Geist.
Die Oberfläche kühl. Das innere sein ureigenes Geheimnis.
Sein Haar ist das eines Kindes.
Seine Stimme die eines Meeres wenn er spricht. Und die des Windes, der in den Strommasten pfeift, wenn er singt.
Seine Hände träumen. Seine Lippen träumen. Sein Herz träumt.
Bewegungslos.
Und hell hell hell blau.
Text und Sprecherin: Marie von Kuck
Foto: Lübeck (Dulon)
Geheimnisse aus einem hässlichen Haus
Habe meine müden Hände
auf dein Schulterblatt gelegt
(auf den Vorsprung, wo im Schatten,
wenn die Sonne morgen aufgeht,
ihre ersten Strahlen glänzen)
Deine liegt mir wie ein Vogel
dort im grünen Schilf im Schritt.
(Deine warmen Finger schlafen,
Silberfäden an den Spitzen,
in dem weichen Moos im Wald)
Meine Füße wandern ruhig
deine Wirbelsäule ab
(dort, wo in der Nacht das Dunkel
dunkler ist, als anderswo.)
(Deine träumen auf den Bäumen
zwischen Daumenspann und Kinn.)
Meinen Bauch, den hab ich wieder
in das flache Meer gelegt.
(Deinen wiegt ein kleines Segel,
aufgespannt am Himmelsrund)
Deine Ellenbogenspitze
klemmt mir zwischen Bein und Knie,
wo dein Atem wie ein Seewind
heult und mir das Haar zerzaust.
Deine Augen sind geschlossen,
(Wölfe traben durch die Nacht)
und mein Mund, der träumt von deinem,
schnappt nach ihm und beißt ihn sacht.
Wach nicht auf!
Die Wolken ziehen,
und ein leichter Regen fällt,
tropft und rinnt und küsst die Stellen,
zwischen Po und überall.
Glitzernd rinnt er in die Ritzen.
(Vögel strecken ihre Glieder
im Gestrüpp dort unter Laub)
Wach nicht auf, bis er vorüber.
Bis der Nebel sich erhebt.
Bis dort in den tiefen Schluchten
uns dein Drachen aufersteht.
(Meine Ungeduld, die hängt
noch dort - an dem Haken bei der Tür.)
Sprecherin: Marie von Kuck, Text: Marie von Kuck & Jacques Dulon
Foto: Frankfurt (Oder) (Dulon)
Oder aber Frankfurt
Oder?
Oder bist du?
Bist du etwa?
Oder bist du etwa nicht?
Oder bist du etwa
der, der damals schon?
Der der damals schon.mit der?
Oder der, der anders als
der der damals schon mit der?
dabei war ICH doch damals IMMER schon ,
der niemals das nicht wusste..
Oder warst du doch nicht der,
weil ja der ja damals schon, nie was wusste oder ahnte,
während du ja dann mit der dann ja doch nicht.
Oder hast du?
Hast du doch?
Hast du etwa damals nicht?
Na mit der?
Wo doch die mit dem, das wusste.
Na, ich hatte doch dann auch!
Na ja wollte. Jedenfalls
Ja nicht wirklich.
Auch nur kurz.
Hab ja nie.
Nee. Ich wirklich nie.
Nee, nee! Wirklich!
Nee, nee lass mal.
Für mich
Doppelknacker, Brötchen, Senf.
Text und Sprecherin: Marie von Kuck
Bild: Art-Work Jacques Dulon
Dem Sohn
"Zieh Dich aus,
alter Mann!" sprach sie.
"Ja, natürlich - auch die Unterhose!" sprach sie.
"Zieh Dich aus!!" sprach sie.
"Zieh Dich aus!" schrie sie.
"Ich will Dich nackt!!"
Und er öffnete verstört sein Hemd. Und er wunderte sich selbst.
Stieg auch schließlich aus der Hose. Wusste nicht, wie ihm geschah.
Und sie lächelte und weinte.
Und er grinste selbstbewusst.
Denn er wusste nicht, wie sonst.
Er betrachtete ihr Haar. Und bemerkte wohl den Schimmer.
War verwirrt.
Doch war ihm das Gefühl zu fremd.
Und er konnte sich nicht wehren. Wusste nicht, warum und wie.
So, wie er einst angekommen, auf der Erde, stand er da.
Nackt, ganz nackt.
Und so, wie er bald gehen würde:
Nackt. Und ziemlich faltig
Sie betrachtete ihn stumm. Und er wusste nicht, warum er Angst bekam.
Doch das Gefühl war ihm zu fremd. Und er konnte sich nicht rühren.
Nur noch denken und auch spüren:
dass er nichts als Mensch war. Pur.
Und sie zog sich eine Feder aus dem Flügel:
weiß und schwarz und sehr, sehr spitz.
Sie begann damit zu schreiben:
Mit der Spitze ihm in seine Haut.
Kleine rote Zeichen über Arme, Beine, Bauch und Schwanz und Rücken. Und er konnte keinen Finger heben, sich nicht rühren, sich nicht wehren. Fühlte Schmerz und Schrecken.
Doch selbst das Gefühl, das war ihm wohl zu fremd.
"Ich wünsch Dir alles Glück der Erde. Tausend goldne Jahreszeiten. Und den satten Duft der Wälder. Einen Abfahrtslauf auf Skiern." - derlei schrieb sie flüsternd nieder. Ohne Pause. Immerfort.
"... Schneeballschlachten, Blumenwiesen, reiche Ernte, satt zu Essen. Küsse, Liebe, jemand, der dich Papa nennt..."
Fassungslos vor Glück und Liebe raunten alle diese Wünsche Eltern einst in kleine Ohren ihrer frisch geborenen Kinder. Hielten sie fest in den Armen.
Doch nun sind sie tot.
Doch nun sind sie tot.
Und Du bist ihr Mörder, nackter Mensch.
- So sprach die Frau.
Dann schrieb sie weiter:
"... Laut zu lachen jeden Tag. Gute Freunde, und ein Feuer, dass dich immer wärmt.
Niemals Schmerz. Und niemals Hunger. Niemals Not. Nie Angst. Nie Hass..."
Und sie ritzte alle diese Worte in ihn ein,
die wie helle Lichter waren am Rande einer langen dunklen Straße in tiefer Nacht.
Die wie Kerzen waren in einem Tunnel.
Die wie große Feuer waren bei strengem Frost.
Ihre Feder war so spitz. Und sie schnitt ihn schmerzhaft bis aufs Blut.
Und er schrie. Doch sie schrieb weiter.
Und er schrie. Doch sie schrieb weiter.
Und er schrie.
Doch sie, sie schrieb.
Und er konnte sich nicht rühren. Und er konnte nichts dagegen tun.
Und sie schrieb in jede Falte und auf jeden Finger. Und sie schrieb auf jedes Glied. Selbst in seine Kopfhaut schrieb sie und auf die rauen Flächen seiner Hände.
Ganz zum Schluss schrieb sie ihm in die Augen. Geschwungene Buchstaben in schnörkeliger Schrift. Auf die Iris. Auf die Lider.
Und da erkannte er ganz plötzlich ihre Schrift.
"Mama!" schrie er voll Entsetzen. "Mama, hör
doch! Du musst doch verstehen!"
Doch sie schrieb und schrieb und weinte.
All die Wünsche, die sie selbst ihm einst ins Ohr gesprochen, als er winzigklein und neu da in ihren Armen lag.
Und die waren wie helle Lichter am Rande einer langen dunklen Straße in tiefer Nacht.
Und die waren wie Kerzen in einem Tunnel. Und die waren wie große Feuer bei strengem Frost.
Doch die Lichter sind erloschen. Alle Tunnel tief verschüttet. Alle Feuer ausgebrannt.
Massenmörder bist du nun. Herr der Tränen. Und des Leids.
Nackt, wie Du gekommen.
wirst Du gehen - und das schon bald.
Doch was Du zerstört, gestohlen und genommen, soll in Dich eingeschrieben sein für alle Ewigkeit.
Das nimmst Du mit.
Das nimmst Du mit.
Das nimmst Du mit.